Ich will mich gar nicht dafür entschuldigen, dass ich jetzt auch noch meinen Senf zur Durchsetzungsinitiative gebe. Ich muss einfach. Der Grund dafür sind die rechtlichen Aspekte dieser Vorlage. Bitte lesen Sie doch dazu die Abstimmungsunterlagen. Die sprechen für sich selbst. Ergänzend dazu ein paar Bemerkungen meinerseits:
Staatsrechtlich ist es ein Unsinn, einen Gesetzestext in eine Verfassungsinitiative zu stopfen. Das stellt das Schweizer Konzept der Verfassungs- und Gesetzgebung auf den Kopf. Sollte dies Schule machen, können wir uns genausogut aus dem Kreis der zivilisierten Staaten verabschieden. Die Gewaltenteilung unserer Demokratie beruht darauf, dass das Volk den strategischen Entscheid trifft, sprich die Verfassung gibt, während das Parlament über das Gesetz entscheidet, gegen welches wiederum das Volksreferendum ergriffen werden kann. Schliesslich wendet der Richter das Gesetz an.
Bei der Durchsetzungsinitiative ist alles ein bisschen verkehrt. Der Richter wendet die Verfassung an (im Stile des Richterstaats), der Gesetzgeber ist ausgeschaltet, das Volksreferendum ebenfalls. Käme eine Mehrheit für diese Initiative zustande, müsste man befürchten, dass in unserem Staat alles möglich ist, wenn es nur eine Volksmehrheit gibt. Die Spielregeln der Demokratie würden aus den Angeln gehoben. Die Volksmehrheit kann mit Minderheiten tun, was sie will. Das war schon bei den Nazis so.
Das ist das Eine. Das Andere ist der eigentliche strafrechtliche Aspekt. Wer den Katalog der Delikte liest, die ohne Rücksicht auf das Strafmass zu einer Ausweisung führen, dürfte ein erstes Mal leer schlucken. Gefährdung des Lebens zum Beispiel: Ein Delikt, das mitunter im Strassenverkehr zur Anwendung kommt oder bei Variantenskifahrern. Sozialmissbrauch: na ja, sicher ein Ärgernis. Aber wird dadurch unsere innere Sicherheit ernsthaft tangiert?
Richtig ernst wird es jedoch bei der Ziffer 2. Es reicht, dass jemand innerhalb der letzten 10 Jahre zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, sprich 30km/h zu schnell oder mit 0,8 Promille Alkohol im Blut gefahren ist, rechts überholt hat, zu nahe aufgefahren ist, und schon fällt er unter Ziffer 2. Dann wird er automatisch ausgewiesen, wenn er als Arzt einen nicht sauber autorisierten Noteingriff tätigt (einfache Körperverletzung), wenn er einen umzäumten fremden Rasen oder eine Tiefgarage betritt (Hausfriedensbruch), an einem Schalter der Gemeindeverwaltung ausfällig wird (Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte) oder als Arzt ein Gefälligkeitszeugnis abgibt (falsches Gutachten). Seltsam, dass gerade die Ärzte so schlecht wegkommen 🙂
Keine Straftat soll per se verharmlost werden. Aber warum sollen Ausländer beispielsweise mit C-Ausweis, die hier aufgewachsen und nun wirklich keine Gäste mehr sind, ungemein härter bestraft werden als Schweizer? Das stellt sogar uns Rechtsschutzversicherer auf eine harte Probe. Jeder Ausländer, der wegen eines etwas qualifizierteren Verkehrsdeliktes ankommt, müsste sich künftig mit allen Mitteln zur Wehr setzen, um nicht unter die Ziffer 2 gestellt zu werden. Solche Bagatell-Strafbefehle würden kaum noch widerstandslos akzeptiert. Die Gerichte würden einer bedeutend grösseren Geschäftslast ausgesetzt.
Und die Richter? Keiner könnte die Folgen seines Urteils ausblenden. Viele würden bei geringsten Zweifeln eher zu einem Freispruch tendieren. Staatsanwälte würden sehr darauf achten, keine zu strengen Strafbefehle mehr auszustellen. Dies jedoch nur bei Ausländern. Der Widersinn könnte also zusätzlich darin liegen, dass Schweizer weniger professionell verteidigt und härter bestraft würden als Ausländer. Und das wäre den Initianten ja wohl auch nicht Recht.
3 Comments
Viele Mitbürgerinnen und Mitbürger sind empfindsamer, wenn es ums Portemonnaie geht denn um die Menschenrechte. Wenn wir heute von rund 2 Ausschaffungen pro Tag sprechen, sollen es in Zukunft rund 10’000 im Jahr sein. Nebst dem, dass die Betroffenen in Zukunft alle möglichen Rechtsmittel ausschöpfen werden, werden sie bei verlorenem Verfahren natürlich alle von sich aus die Schweiz verlassen. Schliesslich wissen sie denn auch schon heute ganz genau, wo sie sich niederlassen werden. Nun weg vom ironischen Teil: Was dies wohl alles uns Steuerzahler kosten wird? Aber vielleicht könnten wir ja bei den Richtern sparen. Wenn wir unsere Gesetze, äh ja Verfassung lieber Kollege Dähler, richtig abfassen, braucht es die doch dann gar nicht mehr, denn das Volk hat ja immer recht (OK, hier bin ich wieder im ironischen Teil gelandet).
Ich denke, die SVP strebt so etwas wie eine (Stimm-)Volksdiktatur an. Alles, was den «Volkswillen» stört, wird ausgeschaltet.
Und dann gibt’s noch den schönen Satz: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.»
Aber das ist der SVP ggleich.
Es spielt keine Rolle, ob in der Schweiz, Österreich oder Deutschland. Über die Sinnhaftigkeit von Gesetzesbeschlüssen kann man sich Bürger nur wundern. Das zeigt dieses Beispiel auch wieder einmal.