Bei Verbänden herrscht die Meinung vor, sie dürften in der Schweiz nicht selbst Rechtsschutz-Risiken versichern. Dem ist nicht so. Sofern der Rechtsschutz direkt an die Mitgliedschaft geknüpft wird, ist eine Eigenversicherung rechtlich möglich.

Ob sie auch Sinn macht, hängt von der Grösse des Verbands und seinem Anwalts-Netzwerk ab. Der Vorteil einer Eigenversicherung liegt darin, dass jenseits der Aufsichtsgesetzgebung die Gestaltungsmöglichkeiten grösser sind und die Kostenkontrolle  einfacher ist.

Der gesetzlich nicht definierte Begriff der Versicherung enthält gemäss ständiger Rechtssprechung unseres Bundesgerichts (114 Ib 244, 131 I 223) die Elemente Risiko, Prämie, Leistung, Selbständigkeit der Operation  sowie planmässiger Geschäftsbetrieb. Fehlt eines dieser Elemente, so ist auf das Gefahrtragungs-Verhältnis weder das Versicherungsvertragsgesetz noch das Versicherungsaufsichtsgesetz anwendbar. Gemäss der Finanzmarktaufsicht FINMA, früher Bundesamt für Privatversicherungen, liegt bei der folgenden Konstellation keine der Gesetzgebung unterstehende Versicherung vor, weil es an der «Selbständigkeit der Operation» fehlt (Die behörliche Bestätigung in einem prominenten konkreten Fall liegt mir vor):

Der Rechtsschutz wird automatisch mit der Mitgliedschaft gewährt und ist nicht als eigenständige Leistung zu betrachten.

Das Verbands-Mitglied tritt im Musterfall also aus verschiedensten Gründen einem Verband bei, vielleicht auch, weil dieser einen Rechtsschutz anbietet. Aber es fehlt an der eigenständigen Operation des Eingehens eines Versicherungsverhältnisses. Nur dann, wenn also der Rechtsschutz innerhalb des Verbands obligatorisch ist und nicht einer eigenständigen Leistung gleichkommt, wird der Begriff der Versicherung nicht erfüllt. Dies bedeutet, dass der Verband selbst die Funktion übernehmen kann, die sonst die Rechtsschutz-Versicherung übernehmen würde. Der Verband selbst darf natürlich nicht den Hauptzweck «Versicherung» haben, sonst läge eine Umgehung der Aufsichtsgesetzgebung vor.

Unproblematisch sind in der Regel Berufs-, Branchen-, Sport- und Interessenverbände. Sie können ohne weiteres einen Rechtsschutz in ihre Mitgliedschafts-Leistungen integrieren und dieses Risiko selbst tragen, ohne Inhaber einer entsprechenden Versicherung-Lizenz sein zu müssen.

Die Frage ist jedoch, in welchen Fällen es für den Verband Sinn macht, auf die Absicherung durch einen Rechtsschutz-Versicherer zu verzichten.

Kleine Verbände schliessen besser eine Versicherung ab:

Bei kleinen Verbänden überwiegen die Vorteile einer Versicherung. Sie sind in der Regel durch grosse Rechtsfälle, die sie für ihre Mitglieder übernehmen müssen, in ihrer Existenz bedroht. Da sie nicht wissen, ob dieser grosse Fall nun im Jahr 1 oder im Jahr 23 eintritt, versichern sie sich lieber und bezahlen eine Prämie, die sie budgetieren können. In solchen Konstellationen spielt einfach der Risikoausgleich innerhalb des Verbands nicht. Es fehlt an der grossen Zahl von Versicherten, welche die Zufälligkeit des Eintritts eines Schadenfalls aufwiegt.

Grosse Verbände sind in der Regel in der Lage, das Rechtsschutz-Risiko selbst abzusichern:

Wie bei den Versicherungsgesellschaften selbst ist aufgrund der grossen Zahl von Versicherten eine recht verlässliche Schadenprognose möglich. Wenn man nun weiss, dass Versicherungsgesellschaften solche Verbände ebenfalls nur noch als geschlossene Systeme betrachten, die einen regelmässigen, tragbaren Schadenverlauf aufweisen müssen, fragt man sich, wozu eine Versicherung noch dienen kann. Rechtsschutz-Versicherer kalkulieren in der Regel einen prozentualen Anteil der Schadenkosten von ca. 60% der Versicherungsprämien. Liegen die Schadenkosten höher, betrachten sie eine Verbandspolice als unrentabel. 40% der Versicherungsprämien sind somit für die Kostentragung in der Versicherungsgesellschaft selbst (Marketingkosten, Vertriebskosten, Provisionen, Administration, Hauptsitz etc.) sowie für deren Gewinn reserviert.

Die Eigenversicherung hat für den Verband den Vorteil:

  • Dass nicht nur 60% des für den Rechtsschutz vorgesehenen Betrags, sondern 100% davon für Rechtsfälle eingesetzt werden kann.
  • Dass das Rechtsschutz-Reglement und die Leistungserbringung nicht unter den strengen Vorschriften der Versicherungsaufsicht stehen, welche ihrerseits oft zu exzessiven Schadenkosten führen (die Instrumente der Versicherungsaufsicht verbieten oft ein kostenkontrollierendes Eingreifen gegenüber dem Anwalt; oder sie zwingen zur Erbringung der Leistung auch dann, wenn dies eigentlich nicht im Interesse der anderen Verbandsmitglieder ist).
  • Dass er auf sein eigenes Anwalts-Netzwerk zurückgreifen kann statt auf dasjenige des Rechtsschutz-Versicherers.
  • Dass bei grossen oder viele Mitglieder betreffenden Rechtsstreitigkeiten das Risiko immer noch auf eine Prozessfinanzierungs-Gesellschaft überwälzt werden kann (dabei wird das Prozessrisiko des Falls voll übernommen, dafür muss im Falle eines Prozessgewinns eine Erfolgsbeteiligung bezahlt werden).

Einschränkend muss jedoch bemerkt werden, dass es für gewisse Gross-Verbände auch von Vorteil sein kann, eine Rechtsschutz-Versicherung abzuschliessen, zum Beispiel aus folgenden Gründen:

  • Rechtsschutz-Versicherer haben oft einen grossen und zum Teil spezialisierten Rechtsdienst. Sofern ein Verband nicht mit freien Anwälten, sondern mit einem solchen bestehenden Rechtsdienst zusammenarbeiten will, kann dies unter dem Strich auch günstiger sein als die Eigenversicherung, da diese Juristen oft deutlich günstiger arbeiten als Anwaltskanzleien.
  • Die Delegation des Rechtsrisikos an einen externen Rechtsschutz-Versicherer entlastet die Verbandsführung von einer gewissen Verantwortung und macht den Anschein von grösserer Neutralität bei der Beurteilung von Rechtsschutz-Fällen.
  • Oft besteht eine gewisse Toleranz der Rechtsschutz-Versicherer bezüglich Rentabilität. Das heisst, bei grossen Verbänden wird aus Marketing-Gründen für eine gewisse Zeit ein Schadensatz von über 60% toleriert. Oft steht die Hoffnung dahinter, zusätzliche Einzelversicherungen an die Mitglieder zu verkaufen oder innerhalb des Versicherungskonzerns noch andere, rentablere Versicherungslösungen anbieten zu können.
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