Die Dextra war der erste digitale Versicherer im deutschsprachigen Raum – ein Interview mit Peter Dähler – Gesprächsführung: Vanessa Meinert

Regulierungen von Insurtechs durch die BaFin aus der Sicht eines Praktikers

Peter, du hast vor 9 Jahren die Dextra in der Schweiz gegründet und warst lange ihr CEO. Ihr wart der erste digitale Versicherer im deutschsprachigen Raum und musstet gegenüber der Aufsicht viel Pionierarbeit leisten.

Damals wussten wir noch nicht einmal, ob wir nun «digital“ sind oder nicht. Wichtiger war, dass wir alternative Kanäle bespielen wollten, also vor allem Makler und Online-Kunden. Dazu brauchten wir Produkte, die dafür geeignet waren, also selbsterklärende «All-in-One“-Produkte, günstige Preise und letztlich ein einfaches, automatisiertes (dunkelverarbeitetes), skalierbares und einzigartiges Versicherungssystem. Herausgekommen ist ein erster deutschsprachiger digitaler Versicherer. Zuvor gab es solche Versicherer nur in Holland und im englischsprachigen Raum, also in klassischen Maklermärkten.

Gemeinsam mit der eidgenössischen FINMA (Schweizer Finanzmarktaufsichtsbehörde, vergleichbar mit der BaFin in Deutschland) leisteten wir Pionierarbeit. Niemand konnte abschätzen, wie sich die Zahlen verhalten würden, in Bezug auf Schadenrückstellungen, Prämienüberträge, die SST-Ratio, Szenarien, etc.

Die FINMA hielt sich genau an den gesetzlichen Rahmen, was uns sehr entgegenkam, denn unser Versicherungsaufsichtsgesetz war grundsätzlich liberal. Zur Umsetzung benötigte es ein Mindestkapital von CHF 3 Mio. plus einen Organisationsfonds von 50%, das uns als ausreichend erschien. Entsprechend ihres Auftrags hat uns die FINMA auf dieser Basis partnerschaftlich geholfen. Was wir noch nicht wussten: dass wir viel schneller wachsen würden als geplant. Das ist die Besonderheit einer gut funktionierenden digitalen Versicherung.

Wie hat die Aufsicht damals auf die Neugründung der Dextra reagiert? Seid ihr aus deiner Sicht fair behandelt worden?

Mehr als das! Wir haben viel Unterstützung und Rückenwind von der FINMA bekommen. Da nur wenige wussten, wie der Rechtsschutz in der Schweiz funktioniert, wurde unser Vorhaben ernst genommen und gefördert. Das heißt, wir konnten unsere Risikoszenarien teilweise selbst bestimmen und waren auch relativ frei, was die Rückstellungs-Methoden betrifft.

Um das notwendige Eigenkapital aufzubauen, mussten wir schrittweise vorgehen. Doch man hat uns dafür Zeit gegeben. Aufgrund unseres Konzepts eines «digitalen Versicherers“ konnten wir ein sehr großes Wachstum verzeichnen. Inzwischen wissen wir, dass der Unterschied eines erfolgreichen klassischen Versicherers zu einem digitalen Versicherer das Gedulds-Momentum ist. Durch die Automatisierung und Skalierbarkeit braucht es nur gute Produkte und Erfolg, dann kann man über Nacht explodieren. Genau das ist bei uns passiert. Das Schweizer Fernsehen hat einen Vergleichstest gemacht. Danach hat sich unsere Produktion buchstäblich über Nacht verdreifacht. Entsprechend brauchten wir mehr Geld, was grundsätzlich einfach gewesen wäre, jedoch hatten wir nicht genug Vorsorge getroffen. Mehrere Interessenten kamen mit Angeboten auf uns zu, die uns weiterhin unsere Unabhängigkeit garantiert hätten. Aber wir hatten die Rechnung ohne die alten Investoren gemacht. Diese waren damals noch in der Lage ihr Veto einzulegen und blockierten die neuen Mittel. Auch der Verwaltungsrat war nicht durchsetzungsfähig genug und die FINMA hätte einen Gang höher schalten müssen.

In unserem Fall konnten wir nichts mehr tun, obwohl wir in der Lage gewesen wären, neue Mittel zu akquirieren. Ein Neueinsteiger müsste sich hier in Zukunft besser positionieren, sodass entweder die Beschaffung neuer Gelder problemlos möglich wäre oder von Anfang an viel mehr Geld zur Verfügung stehen würde. Zusätzlich müssten der Finanzaufsicht weitere Instrumente an die Hand gegeben werden, um «alte” Investoren in die Schranken zu weisen.

Welche Erfahrungen hat die Aufsicht mit den Neo-Versicherern gemacht und welche Schlussfolgerungen sollte sie daraus ziehen?

Nach Dextra gab es gleich 3 weitere Start-ups in der Schweiz:

  • Wir selbst haben 2016 zusätzlich die “Dextra Versicherungen” für andere Sparten gegründet (Simpego seit 2020). Dafür brauchten wir ein Eigenkapital von CHF 8 Mio sowie einen Orgafonds von 50%. Wir haben unsere Anteile an zwei institutionelle Investoren aus der Branche verkauft. Wir wussten aus der Vergangenheit, dass wir das Aktienkapital pro Jahr um einige Millionen erhöhen müssen. In der Zwischenzeit hat sich dieses bereits verdreifacht. Der Druck wurde uns nicht von der FINMA auferlegt, sondern wir wussten selbst, wie es laufen würde.
  • Eine andere neue Versicherungsgesellschaft wurde von einem Versicherungsmakler gegründet. Dahinter steckte eigenes Geld. Hier verdoppelte sich das Aktienkapital. Das war keine echte digitale Versicherung, sondern ein klassischer Beratungsverkauf.
  • Und schließlich wurde 2019 von einem Verbrauchermagazin eine Rechtsschutzversicherung ins Leben gerufen. Der Vertrieb läuft über das eigene Verbrauchermagazin und Mailings. Hier blieb es vorerst beim ursprünglichen Aktienkapital. Das Wachstum war dementsprechend vorerst diskret.

Diese Beispiele zeigen, dass ein Versicherer, je nachdem, wie der Vertrieb organisiert ist, schneller oder langsamer wächst. Oder in anderen Worten: Ein optimal organisierter digitaler Versicherer wächst dreimal so schnell wie ein traditioneller Versicherer. Entsprechend kann ein solcher digitaler Versicherer nicht genügend Kapital aus eigenem Wachstum aufbauen. Nach ein paar Jahren wird also neues Geld benötigt, es sei denn, es wurde von Anfang an großzügig zurückgelegt.

Sollte die Aufsicht Neoversicherer anders behandeln als gestandene Versicherer?

Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie hat lediglich das auszuführen, was der Gesetzgeber verlangt – die Versicherten vor Insolvenzrisiken der Unternehmen und vor Missbräuchen zu schützen. Aus organisatorischen Gründen ist es sinnvoll, kleine Versicherer oder neue Versicherer in andere Abteilungen aufzuteilen. Aber nicht, weil es einen anderen Auftrag gibt, sondern weil verschiedene Versicherer mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert sind. Ein neuer Versicherer hat beispielsweise noch zu wenig Daten in seiner Historie, sodass Lücken gefüllt und abgeschätzt werden müssen, wie sich diese im Zeitverlauf verändern. Auch die Interpretation von Zahlen kann unterschiedlich sein, sodass sich ein anderer Anspruch ergibt. Im Kern müssen neue Versicherer jedoch nicht anders behandelt werden als gestandene Versicherer.

Wie schätzt du die verschärften Vorgaben der BaFin in diesem Zusammenhang ein? Nötig oder innovationsfeindlich?

Der Ansatz der BaFin ist nachvollziehbar. So sollte der Orgafond bei Neugründungen aus Sicht der BaFin zum Zeitpunkt der Zulassung so dotiert sein, dass er alle zu erwartenden, realistisch prognostizierten Verluste vom Zeitpunkt der Gründung bis zum Zeitpunkt der ersten Rentabilität abdeckt.

Ein Vergleich mit dem angelsächsischen Modell macht keinen Sinn. Die Versicherungswirtschaft ist dort anders aufgestellt. Produktmanagement, Underwriting, Marketing, Vertrieb und Schadenregulierung werden oft von Maklern übernommen. Bestimmte Versicherungsmodelle gibt es bei uns gar nicht, zum Beispiel die Rückwärtsversicherung. In der angelsächsischen Welt gleicht der Versicherungsvertrag oft eher einem Kreditvertrag.

Man muss sich einfach daran gewöhnen, dass es hier in der Versicherungsbranche um große Summen geht und dass die Verzinsung des Kapitals geringer ist. Auf der anderen Seite ist das Risiko gering, wenn das Geschäft erst einmal angelaufen ist. Es gibt einfach keine Möglichkeit, in dieser Branche einen schnellen Gewinn zu erzielen, außer durch den Verkauf von Aktien durch Wertsteigerung. Das mag als innovationsfeindlich bezeichnet werden, jedoch gibt es immer noch genügend Möglichkeiten in der Versicherungsbranche aktiv zu werden.

Kann es einen Auftrag an die Aufsicht geben, innovative Geschäftsmodelle besonders zu fördern?

Die Aufsichtsbehörde selbst kann nur im Rahmen ihrer Funktion (d.h. Schutz der Versicherten vor den Insolvenzrisiken der Versicherer) gewünschte Geschäftsmodelle fördern. Aber das ist ähnlich, wie bei der Polizei: «Erziehung” im Straßenverkehr ist erlaubt, Unterricht zu Fahrrad- oder Autofahren, machen andere. Gute Versicherungstalente kommen oft aus bestehenden Versicherungskonzernen. Wenn unsere Versicherungswirtschaft ihre Leute fördert, werden sie früher oder später auf die Idee kommen, etwas Eigenes aufzubauen.

Wie könnte das aussehen? Was hältst du von Sandbox-Modellen?

Es macht mehr Sinn, die Ausbildung zu fördern. In einem solchen Rahmen wäre vielleicht ein Sandkastenmodell möglich, also eine Begleitung durch Schulen und Universitäten. Man darf auch die Kunden nicht vergessen. Schließlich will jeder, der eine Versicherung abschließen will, ein gewisses Maß an Sicherheit haben. Was passiert also, wenn das Experiment scheitert? Wohin sollen die Kunden dann gehen? Versicherungen sind komplex. Es gibt tolle Produktideen und tolle Underwriter, doch nur wenn alles passt, von Produkt, Vertrieb, Marketing, Underwriting, Schaden, Mathematik, Anlagepolitik usw., kann man von einem erfolgreichen Versicherungsunternehmen sprechen. Das muss der Anspruch solcher Schulen sein, all diese Aspekte abzudecken, dann kann es funktionieren.

Welchen Tipp hast du für InsurTechs, die Versicherer werden wollen?

Es ist wichtig, alle Aspekte zu berücksichtigen. Meistens fehlt den InsurTechs das Verständnis, wie sie das Investment akquirieren können. Zuerst braucht man eine überzeugende Idee, dann muss man gut verkaufen und danach kommt die Phase der Aktionärsbindungsverträge usw. Daher ist es empfehlenswert, vorausschauend zu planen, am besten über 10 Jahre und abzuschätzen, welches Kapital benötigt wird. Da es in dieser Branche keine schnellen Gewinne gibt, ist es besser, mit mehr Geld zu planen, so wie es Medtechs und Chemietechs tun.

Wie stellt man sich am besten gegenüber der Aufsicht auf?

Die Mitarbeiter:innen der Aufsicht sind auch nur Menschen. Ich habe unterschiedlichste Leute mit verschiedenen Expertisen und Perspektiven getroffen, die oft sehr interessiert sind an der Materie. Richtig Abgebrühte gibt es weniger. Ein Vertrauensverhältnis ist wichtig, also kein Kampf, sondern Partnerschaft in der Sache.

Sollte man vielleicht in einem Assekuradeurmodell starten und erst später eine Lizenz beantragen?

Ich denke, es ist einfach eine Frage des Geschmacks. Das Assekuradeurmodell ist keine Versicherung, denn sein Motor bleibt der Risikoträger. Zudem ist das Assekuradeurmodell näher beim Maklergeschäft als beim eigentlichen Versicherungsgeschäft. Wenn man wirklich durchstarten will, muss man sich früher oder später unabhängig machen.

Vielen Dank, Peter.

 

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1 Comment

  1. Alexander Müller Reply

    Ich kann die Dextra-Versicherung nicht weiterempfehlen. Ich hatte eine Business Flex Versicherung und einen Schadenfall gemeldet. Die Dextra hat ein Rechtsgutachten einholen lassen, welches Chance auf Erfolg bei einer Klage attestierte. Das hat der Dextra nicht gepasst, weshalb sie ein Gegengutachten hat anfertigen lassen, daraufhin den Fall wegen angeblicher Aussichtslosigkeit ablehnte und mir den Versicherungsschutz mit Verweis auf ihre AGB kündigte, denen zufolge bei einem Schadenfall gekündigt werden kann.

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